Aus dem heiligen Evangelium nach Matthäus.
Nachdem Jesus die Menge gespeist hatte, drängte er die Jünger, ins Boot zu steigen und an das andere Ufer vorauszufahren. Inzwischen wollte er die Leute nach Hause schicken. Nachdem er sie weggeschickt hatte, stieg er auf einen Berg, um für sich allein zu beten. Als es Abend wurde, war er allein dort. Das Boot aber war schon viele Stadien vom Land entfernt und wurde von den Wellen hin und her geworfen; denn sie hatten Gegenwind. In der vierten Nachtwache kam er zu ihnen; er ging auf dem See. Als ihn die Jünger über den See kommen sahen, erschraken sie, weil sie meinten, es sei ein Gespenst, und sie schrien vor Angst. Doch sogleich sprach Jesus zu ihnen und sagte: Habt Vertrauen, ich bin es; fürchtet euch nicht! Petrus erwiderte ihm und sagte: Herr, wenn du es bist, so befiehl, dass ich auf dem Wasser zu dir komme! Jesus sagte: Komm! Da stieg Petrus aus dem Boot und kam über das Wasser zu Jesus. Als er aber den heftigen Wind bemerkte, bekam er Angst. Und als er begann unterzugehen, schrie er: Herr, rette mich! Jesus streckte sofort die Hand aus, ergriff ihn und sagte zu ihm: Du Kleingläubiger, warum hast du gezweifelt? Und als sie ins Boot gestiegen waren, legte sich der Wind. Die Jünger im Boot aber fielen vor Jesus nieder und sagten: Wahrhaftig, Gottes Sohn bist du.
Jesus bezeichnet Petrus als „Kleingläubigen“. Ich lese diese Worte des Evangeliums und etwas wehrt sich in mir gegen diese Bezeichnung. Was hat die Reaktion des Petrus mit dem Glauben zu tun? Das ist die erste Frage, die sich bei mir weckt, wenn ich die Geschichte lese. Ich kann die Reaktion des Petrus und den anderen Jüngern ganz gut verstehen und nachvollziehen. Immer wenn ich bei einer Fahrt, einer Wanderung oder einem Spaziergang irgendwo Wasser entdecke, bleibe ich gerne stehen und beobachte es! Das Wasser beruhigt mich und ich habe immer das Gefühl, dass es mich auf eine besondere Weise mit Gott – mit der Ewigkeit verbindet. Und dann denke ich mir; ich möchte keinesfalls so etwas erleben, dass plötzlich jemand über dem Wasser läuft oder sonst was ungewöhnliches macht.
In meiner persönlichen Betrachtung des Evangeliums führe ich nun eine kurze Zwiesprache mit Jesus und frage ihn; Lieber Jesus, war diese Aktion mit dem Laufen über dem Wasser wirklich nötig? Was wolltest du denn damit bewirken? Was hat das bitte mit meinem Glauben an Gott zu tun? Muss ich in solchen außergewöhnlichen und furchterregenden Sachen sofort Gott erkennen, um ein guter Christ zu sein?
Muss ich in solchen außergewöhnlichen Sachen sofort Gott erkennen, um ein guter Christ zu sein?
Ich glaube, dass sich jeder und jede von uns angesichts schwierigen „Glaubenswahrheiten“ bzw. Glaubensvorstellungen der Institution diese Frage stellt. Und ich glaube ebenfalls, dass jeder schon mal das schlechte Gewissen verspürt hat, wenn er mit einem oder anderen Dogma der Kirch innerlich nicht mitgehen konnte.
Muss ich in solchen außergewöhnlichen Sachen sofort Gott erkennen, um ein guter Christ zu sein?
Vielleicht hat Petrus Jesus eine ähnliche Frage gestellt, nachdem er von ihm als „kleingläubig“ bezeichnet wurde.
Im Grunde genommen glaube ich nicht, dass es darum geht, ob Jesus wirklich über dem Wasser gelaufen ist oder nicht. Es geht wahrscheinlich auch nicht darum, ob solche Erscheinungen möglich sind oder nicht. Das Laufen Jesu über dem Wasser ist an sich bestimmt kein wichtiger Inhalt meines Glaubens.
Aber Petrus befand sich auf dem Weg der Nachfolge – in einem Prozess des Lernens und des inneren Wachstums.
In seinem Erschrecken über Jesus, der über dem Wasser läuft, bewahrheitet sich der bekannte Spruch; „Der Mensch ist ein Gewohnheitstier“.
Petrus war ein gläubiger Mensch mit seinen festen Vorstellungen von Gott. Diese Vorstellungen waren ihm sicher schon lange bekannt und schenkten ihm die Heimat. Deshalb hielt er Gott in diesen Vorstellungen sozusagen gefangen und war für alles andere und vor allem für das Neue verschlossen. Er war ein Gewohnheitstier!
Ich bin ein Gewohnheitstier! Das merke ich in vielen Kleinlichkeiten des Alltags aber auch in meinen eigenen Vorstellungen von Gott und von dem, was und wie er in meinem Leben sein soll.
Ich habe meine festen Rituale im Laufe des Tages, sitze am liebsten immer am selben Platz am Tisch, kaufe immer gleiche Produkte usw. Manchmal ist es für mich emotional schon ein kleines Drama, wenn jemand mich aus diesen festen Abläufen des Tages herauszieht, wenn „mein Platz“ besetzt ist, wenn „mein Lieblingsprodukt“ gerade ausverkauft ist. Wenn so was im Alltag kommt, weckt sich in mir manchmal die Angst, aus den gewohnten Bahnen zu geraten.
In den Glaubensgesprächen mit den Menschen spüre ich auch oft, wie es mir schwer fällt, wenn jemand mir ganz andere Vorstellungen von Gott oder die Erfahrungen mit ihm präsentiert und dadurch eventuell meine eigenen relativiert oder sogar in Frage stellt. Oft reagiere ich dann mit den Worten: „Nein, das kann nicht sein! Damit kann ich nicht mitgehen“.
Dann weckt sich die Frage; Aber warum denn? Warum darf es nicht anders sein? Nur weil es mich aus der Gewohnheit herauslockt und hinterfragt? Nur deswegen, weil es mir Angst weckt, etwas wichtiges zu verlieren?
Da spüre ich deutlich, dass mich diese Einstellung daran hindert, über mich selbst hinaus zu wachsen.
Meine persönliche Überzeugung ist, dass der Glaube authentisch ist, wenn der Mensch durch ihn innerlich wächst. Ein verklemmter oder festgefahrener Mensch bei dem immer alles beim Alten bleiben muss, kann aus meiner Sicht kein authentischer Christ sein. Eine Kirche, bei der immer alles beim Alten bleiben muss, kann kein authentisches Christentum sein.
Ich erkenne das ganz deutlich an Petrus heute. Um innerlich weiter zu wachsen und in seinem Glauben zu reifen, musste er erfahren, dass seine bisherigen Vorstellungen von Gott nicht alles sind. Er musste sich selbst hinterfragen und lernen, dass Gott und seine Welt viel mehr und viel anders sind, als er bis zu diesem Tag erfahren und gedacht hat.
Ja, der Gang Jesu über dem Wasser ist zwar kein wichtiger Glaubensinhalt, aber er war notwendig für Petrus damals und ist notwendig für mich heute.
„Du Kleingläubiger“! Ich glaube, dass diese Worte Jesus für mich gelten, wenn ich nicht bereit bin, über mich selbst hinaus zu wachsen, neue Erfahrungen zu sammeln und alte Dogmen des Lebens zu hinterfragen! Sie gelten für mich immer, wenn ich am liebsten alles beim Alten lassen möchte – im Alltag und im Glauben.
Das Evangelium lädt mich heute ein, mich selbst, meine Gewohnheiten und meine Glaubensüberzeugungen immer wieder zu hinterfragen und mich in jeglicher Hinsicht auf das Neue einzulassen. Es ist mir bewusst, nur so kann ich als Mensch und als Christ innerlich wachsen und reifen. Nur so kann meine Beziehung zu den Menschen und zu Gott an Qualität gewinnen.
Mut und Kraft dazu, wünsche ich auch dir liebe Schwester, lieber Bruder!