Predigt von Pater Ivan zum 18. Sonntag im Jahreskreis

Aus dem heiligen Evangelium nach Matthäus.

In jener Zeit, als Jesus hörte, dass Johannes enthauptet worden war, zog er sich allein von dort mit dem Boot in eine einsame Gegend zurück. Aber die Volksscharen hörten davon und folgten ihm zu Fuß aus den Städten nach. Als er ausstieg, sah er die vielen Menschen und hatte Mitleid mit ihnen und heilte ihre Kranken. Als es Abend wurde, kamen die Jünger zu ihm und sagten: Der Ort ist abgelegen und es ist schon spät geworden. Schick die Leute weg, damit sie in die Dörfer gehen und sich etwas zu essen kaufen! Jesus aber antwortete: Sie brauchen nicht wegzugehen. Gebt ihr ihnen zu essen! Sie sagten zu ihm: Wir haben nur fünf Brote und zwei Fische hier. Er antwortete: Bringt sie mir her! Dann ordnete er an, die Leute sollten sich ins Gras setzen. Und er nahm die fünf Brote und die zwei Fische, blickte zum Himmel auf, sprach den Lobpreis, brach die Brote und gab sie den Jüngern; die Jünger aber gaben sie den Leuten und alle aßen und wurden satt. Und sie sammelten die übrig gebliebenen Brotstücke ein, zwölf Körbe voll. Es waren etwa fünftausend Männer, die gegessen hatten, dazu noch Frauen und Kinder.

Jesus und seine Jünger habe sich nach der Ermordung des Johannes zurückgezogen. Obwohl der Evangelist es nicht so direkt erklärt, vermute ich aus eigener Lebenserfahrung heraus, dass sie einfach Zeit für sich brauchten. Sie wollte diese Situation „verdauen“ und sich ein wenig Zeit zum Nachdenken und zum Trauern nehmen.

Das kann ich ganz gut verstehen und nachvollziehen. Am Ende eines anstrengenden Tages, oder nach einer schwierigen und belastenden Situation brauche ich meistens auch meine eigene Ruhe und bin froh und dankbar, wenn ich dann erstmal niemandem begegnen muss. Deswegen finde ich die Reaktion der Menschen, trotz ihrer prekären Lage, sehr unsensibel – ja sogar etwas übergriffig.

In meinem persönlichen Nachdenken über diese Szene versuche ich mir vorzustellen, wie Jesus und seine Jünger reagiert haben, als die Menschenmenge ihnen hinterher gekommen ist. Der eine oder der andere aus dem Apostelkreis, vielleicht sogar auch Jesus selbst, hat seufzend die Augen verdreht. So wie ich das oft tue, wenn mich jemand aus meiner Ruhe herausreißt und mir das Gefühl gibt, überbelastet zu sein. Und viele von ihnen reagieren vermutlich auch so, wenn das Kind zum tausendsten Mal am Tag „Mama“ ruft oder ihnen selbst auf die Toilette folgt weil es eben was „ganz wichtiges“ zu sagen oder zu zeigen hat. Wenn der Chef, der Kollege oder der Partner schon wieder etwas fordert, ohne ihr Befinden zu berücksichtigen.

Wir alle machen sehr oft die Erfahrung, von den Erwartungen unserer Nächsten überfordert zu sein. Das Gefühl eingeengt zu sein kennt jeder von uns. Solche Erfahrungen bringen uns manchmal an den Rand der Verzweiflung und daraus entbrennen nicht selten Konflikte in unseren Beziehungen, unseren Familien und unserem Beruf.

Was soll ich dann machen? Diese Frage stellen wir uns oft in unserem Alltag und nicht selten ist es eine ganz brennende Frage für uns. Manchmal ist sie so brennend, dass es uns irgendwie bewusst wird; entweder finde ich bald eine Lösung oder ich drehe durch, lasse mich scheiden, kündige…

Was soll ich dann machen? Jesus und seine Jünger habe der Menschenmenge nachgegeben und ihren Erwartungen entsprochen. Aber trotz aller Liebe und Respekt zu Jesus und seinen Jüngern kann ich mir nicht vorstellen, dass es ihnen angenehm war oder gut getan hat. Ich kann mir auch nicht vorstellen, dass sie die Menschen mit lächelndem Gesicht und ohne Protest bedient haben. Ich hoffe zumindest, dass sie nicht immer nachgegeben haben! Keiner kann immer für andere da sein – auch Jesus und seine Jünger nicht.

Ob es uns bewusst ist oder nicht, diese Geschichte prägt uns aber unterbewusst sehr. Ich wurde z.B. erzogen, dass ein „guter Christ“ immer für andere da sein soll, ohne wenn und aber! In meinen ersten Priesterjahren, besonders als ich Krankenhausseelsorger war, dacht ich, rund um die Uhr für die Kranken da sein zu müssen. Das war mein Bild vom guten Priester der im Namen Jesu unterwegs ist. Ich habe aber auf eigener Haut erfahren müssen, dass es nicht geht. Und ich glaube längst nicht mehr daran, dass Gott das von mir erwartet.

Während meines Studiums kam mir ein interessantes Buch vom Bamberger Priester Reinhold Bärenz in die Hand. Das Buch unter dem Titel „Wann essen die Jünger“ analysiert gerade das heutige Evangelium und stellt die Frage auf: Wann bin ich dran? Wann bin ich dran, dass ich mir selbst etwas gutes tun kann? Wann bin ich dran, dass andere mal für mich etwas tun und dass meine Bedürfnisse berücksichtigt werden? Der Autor stellt eben auch fest; ein gelungenes Christsein ist eine gute Mischung vom Geben und Nehmen.

Ein gelungenes Leben ist eine gute Mischung vom Geben und Nehmen!

Deswegen glaube ich, dass wir das heutige Evangelium und vor allem die Reaktion (das Nachgeben) Jesu nicht missverstehen dürfen. Jesus stellt uns da nicht das Ideal eines perfekten Christen der sich selbst immer zurücknehmen und anderen nachgeben soll. Ich darf ebenfalls nicht der Versuchung verfallen, jedem Bedürftigen helfen zu müssen. Wenn ich das tun würde, wäre ich selbst sehr schnell der Bedürftige.

Ich finde es schön, wie im Flugzeugt kurz vor dem Abflug die Sicherheitsvorkehrungen erklärt werden. Da heißt es immer; „Setzen Sie zuerst sich selbst die Maske auf und erst dann helfen sie den anderen“.

Tu zuerst dir selbst das Gute und wenn du „gesättigt“ bist, wenn du versorgt bist, hilf dem anderen. Gott hat dir zuerst dich selbst gegeben, erst dann die Nächsten!