Predigt zum 2. Sonntag der Osterzeit 2020 von Pater Ivan

„Selig sind, die nicht sehen und doch glauben“!

Liebe Schwestern und Brüder,
mir persönlich fällt es schwer, diese Aussage Jesu anzunehmen. Sie scheint mir auch sehr unpassend in unserer Zeit.  Wir, heutige Menschen möchten alles, soweit es geht, verstehen und nachvollziehen. Es widerspricht unserem Selbstbewusstsein, „blind“ zu glauben.
Meine Eltern haben mir schon früh in meiner Kindheit beigebracht, vorsichtig zu sein! Ich sollte mich z.B. zu keinem fremden ins Auto setzen, egal was er mir verspricht. Ich sollte von den Fremden keine Geschenke annehmen., egal wir verlockend sie sind. Ich sollte nicht jeder Geschichte sofort glauben, egal wie schön sie vorkommt.
Außerdem habe ich schon öfters in meinem Leben auch selber erfahren, dass es gar nicht so ratsam ist, „blind“ zu glauben und zu vertrauen. Einige Male bin ich deswegen auf die Nase gefallen, wurde betrogen und ausgenutzt. Nicht alle haben mit uns gute Absichten – das ist zwar traurig aber gehört wesentlich zu unserer Welt und unserer Erfahrung!
Ich wage es, zu sagen; eine gesunde Vorsicht ist Voraussetzung für ein gelungenes Leben! Deswegen gehört sie für mich auf jedem Fall zur Kindererziehung dazu.

„Selig sind, die nicht sehen und doch glauben“!
In der Vorbereitung dieser Betrachtung habe ich Bibelkommentare zu diesem Satz konsultiert. Ich fand zwar nirgendwo eine wissenschaftliche Behauptung, dass Jesus diese Worte nicht gesagt hat d.h. dass sie nicht historisch authentisch sind, aber mir persönlich passen sie auf jedem Fall nicht zu Jesus!
Sie fördern Dogmatismus und blinde Gefolgstreue aber keinen lebendigen Glauben und keine Sehnsucht nach einer persönlichen Begegnung mit Gott. Gott ist aber Menschen geworden, damit die Menschen ihn mit allen Sinnen erfahren können! Jesus ist auf die Menschen zugegangen, hat mit ihnen die Gemeinschaft gelebt, damit sie ihm begegnen. Persönliche Begegnung war also aus meiner Sicht Lebensstil Jesu.
Ich möchte mich mit einem Glauben in Form einer fraglosen Gefolgstreue und Dogmatismus nicht abfinden! Für mich ist er keine Option!

„Wenn ich nicht das Mal der Nägel an seinen Händen sehe und wenn ich meinen Finger nicht in das Mal der Nägel und meine Hand nicht in seine Seite lege, glaube ich nicht“.

Nach diesen Worten erlebe ich Thomas nicht als „ungläubigen Thomas“ sondern als mutigen Thomas. Im Gegensatz zu  anderen Aposteln hat er Mut gehabt, seine Zweifel und seine Fragen zu äußern. Er hat Mut gehabt, ein Mensch zu sein – eine Eigenschaft die aus meiner Sicht vielen Klerikern der Kirche eindeutig fehlt. Er hat sich nicht mit den formulierten Dogmen abgefunden, als ob die Worte der Apostel alles über Gott sagen. Er wollte Jesus begegnen. Gerade diese Eigenschaften machen ihn in meinen Augen authentisch und vorbildlich, so dass ich mir ihn als echten Vorbild eines Christen vor Augen halten kann.
Ich bin ihm heute für diesen Mut dankbar. Seine Worte wirken auf mich befreiend und heilend!
Viele Jahre lang habe ich selbst Dogmatismus und Gefolgstreu gelebt, bis ich eines Tages gespürt habe, dass all das meiner Erfahrung mit Gott (wenn ich mir ehrlich bin) nicht so ganz entspricht. Gott meiner Theologe war nicht Gott meiner Erfahrung.

„Wenn ich nicht das Mal der Nägel an seinen Händen sehe und wenn ich meinen Finger nicht in das Mal der Nägel und meine Hand nicht in seine Seite lege, glaube ich nicht“.

Letztes Jahr um Ostern war ich bei meiner Familie in Kroatien und las dieses Evangelium in einer kleinen Dorfkirche, wo ich vom  Pfarrer die Messe übernommen habe. Und dort haben mir diese Worte des Thomas Mut gemacht, zu meinem eigenen Weg zu stehen und eine persönliche Begegnung mit Jesus zu fordern! Ich dachte mir; ich will nicht mehr von einem Jeus erzählen, dem die Anderen (oder die Kirche als Institution) begegnet sind. Ich möchte ihm persönlich begegnen und von meiner eigenen Erfahrung mit ihm reden oder eben das ganze einfach lassen und einen anderen Weg gehen.

Die Worte des Thomas wurden zum meinem inneren Schrei nach einer eigenen Gotteserfahrung und sie haben mich befreit und ich fühle mich nun freier den je! In dieser kleinen Dorfkirche fasste ich Mut einem Gott zu begegnen, der nun für mich endlich auch anders sein dürfte, als ich bisher von ihm gelernt habe.

Mein Glaube hat neue Kraft und neuen Glanz bekommen! Ich habe das Gefühl, erst jetzt von der befreienden Botschaft Jesu sprechen zu können. Es wäre aber falsch zu denken, ich hätte Gott ein für alle mal gefunden. Ich finde ihn immer wieder neu und er ist immer zwar der selbe aber nicht der gleiche! So denke ich; wer meint, Gott ein für alle mal gefunden zu haben, der hat ihn für immer verloren!

Liebe Schwester, lieber Bruder,
ich wünsche dir den Mut des heiligen Thomas! Ich wünsche dir den Mut, zu deinen Fragen und Zweifeln zu stehen. Du muss am Ender deines Ringens um die Wahrheit mit anderen nicht übereinstimmen. Du sollst am Ende spüren, dass es in dir und für dich passend ist. Du wirst glücklich und selig sein, erst wenn du den Mut fasst, du selbst zu sein! Wenn du dich vom Drang befreist, ein braves Gefolge zu sein, und anfängst Gott zu suchen! Gott deiner Erfahrung sieht am Ende vielleicht anders aus, als Gott der Erfahrung Anderer, oder der Dogmen. Und dennoch ist er der lebendige Gott, der dich in die Freiheit führt.
Ich glaube nicht, dass Gott blinde Gefolgstreu verlangt! Vielmehr glaube ich, dass Gott sich über leidenschaftliche Sucher freut! Das klingt vielleicht paradoxal aber je mehr ich der Suchende bin, desto mehr haben ich das Gefühl, bei Gott angekommen zu sein!