Predigt zu Palmsonntag von Pater Ivan

Palmsonntag – 05. April 2020

Das Gebet in Getsemani

Darauf kam Jesus mit den Jüngern zu einem Grundstück, das man Getsemani nennt, und sagte zu ihnen: Setzt euch und wartet hier, während ich dort bete.

 Und er nahm Petrus und die beiden Söhne des Zebedäus mit sich. Da ergriff ihn Angst und Traurigkeit,

und er sagte zu ihnen: Meine Seele ist zu Tode betrübt. Bleibt hier und wacht mit mir!

 Und er ging ein Stück weiter, warf sich zu Boden und betete: Mein Vater, wenn es möglich ist, gehe dieser Kelch an mir vorüber. Aber nicht wie ich will, sondern wie du willst.

 Und er ging zu den Jüngern zurück und fand sie schlafend. Da sagte er zu Petrus: Konntet ihr nicht einmal eine Stunde mit mir wachen?

Wacht und betet, damit ihr nicht in Versuchung geratet. Der Geist ist willig, aber das Fleisch ist schwach.

 Dann ging er zum zweiten Mal weg und betete: Mein Vater, wenn dieser Kelch an mir nicht vorübergehen kann, ohne dass ich ihn trinke, geschehe dein Wille.

Als er zurückkam, fand er sie wieder schlafend, denn die Augen waren ihnen zugefallen.

Und er ging wieder von ihnen weg und betete zum dritten Mal mit den gleichen Worten.

Danach kehrte er zu den Jüngern zurück und sagte zu ihnen: Schlaft ihr immer noch und ruht euch aus? Die Stunde ist gekommen; jetzt wird der Menschensohn den Sündern ausgeliefert.

Steht auf, wir wollen gehen! Seht, der Verräter, der mich ausliefert, ist da.

Eines Tages rief ein alter Mann, kurz vor dem Tod, seine Söhne zu sich und wollte ihnen zum Abschied noch etwas ganz Wichtiges sagen. Als die Söhne zu ihm kamen, hielt der alte Vater zwei kleine Schachtel in der Hand. Die eine war weiß und die andere schwarz! Auf der weißen Schachtel stand geschrieben: öffne mich, wenn du glücklich bist, und an der schwarzen: öffne mich, wenn du traurig bis.

Der Vater starb und die Söhne wurden traurig! So öffneten sie die schwarze Schachtel. Nun waren sie verwundert. Sie fanden drinnen einen Zettel mit der Nachricht: „Es wird vergehen“! Später kamen wieder glückliche Momente in ihrer Familie und in ihrem Leben und sie öffneten die weiße Schachtel. Wieder fanden sie drinnen den Zettel mit der Nachricht: „Es wird vergehen“.

Liebe Mitchristinnen, liebe Mitchristen,

ich weiß nicht mehr genau wo diese Geschichte her kommt und von wem ich sie zum ersten Mal gehört habe! Nun kommt sie mir in den Sinn, wenn ich an die Passion Jesu und unsere Tage denke. Meine erste Reaktion! Es entreißt sich aus mir ein Seufzen – so ist das Leben spreche ich zu mir selbst!

Das Leid kommt und vergeht! Das Glück kommt und ebenfalls vergeht! In diesem Rhythmus bewegt sich mein Leben – unser menschliches Leben!

Und doch empfinde ich diese Wirklichkeit nicht als ein Hamsterrade! Vielmehr empfange ich in der Passionsgeschichte Jesu und des Menschen heute, gedeutet durch diese kleine Geschichte eine Erklärung der Rolle Gottes in meinem Leben!

Gott ist nicht derjenige der mich vom Leid befreit. Schon immer mussten die Menschen leiden. Auch Jesus musste leiden, obwohl er davor Angst hatte. Die Menschen beten um die Verschonung und die Befreiung vom Leid und Tod und nicht jeder wird verschont und am Leben erhalten! Jeden Tag kann diese gruselige Krankheit (Corona) auch mich treffen! Es wird vergehen!

Gott ist auch kein Partyservice! Er ist nicht zuständig dafür, dass mein Leben toll verläuft und ich pures Glück und großen Erfolg erlebe! Und auch wenn ich das große Glück und großen Erfolg erlebe, weiß ich – es wird vergehen!

Heute betrachte ich besonders diesen Abschnitt der Passion, wo es um das Gebet Jesu im Getsemani geht. Er beschreibt am deutlichsten das, was ich in diesen Tagen erlebe! Ich erlebe die Tage, die ich als meine „Getsemani – Stunden“ deuten kann. Es sind die „Stunden“ bzw. die Tage in denen ich Gott offen und ehrlich sage, dass ich Angst habe, und dass die Ungewissheit wie, lange das Ganze dauern und wie es enden wird, mich quält.

Heute spüre ich vielleicht zum ersten Mal in meinem Leben, dass es schön ist, an Gott zu glauben, ihn im Leben zu haben, auch wenn ich in Ungewissheit lebe.

Heute begreife ich, dass Gott mir niemals ein Leben ohne Leid und Missstände versprechen würde! Seinem Sohn hat er das ja auch nicht versprochen und auch nicht „gegönnt“. Denn, jenseits jeder theologisierung und spiritualisierung des Kreuzestodes Jesu, bleib das ein grausamer Tod umgeben von viel Leid und Schmerz.  

Und an der Getsemani-Stunde Jesu erkenn ich, dass Gott dennoch da ist! Er ist da!

Ich glaube an einen mitleidenden und gleichzeitig mitfeiernden Gott! Der Glaube, dass Gott im Leben Jesu sowohl im Getsemani als auch am Ostermorgen gelichermaßen präsent war, lässt mich hoffen, dass er in meinem Leben präsent bleibt, egal was kommt. Und diese Hoffnung macht mein Leben hell. Nicht die Hoffnung auf ein Leben ohne Sorgen und ohne Leid.

Deswegen ärgere ich mich in diesen Tagen über viele frommen Nachrichten, die im Netzt herumkreisen. Sie besagen meistens, direkt oder indirekt, dass wir uns nur fleißig ins Gebet stürzen sollen, und Gott wird uns von Corona befreien!

Wenn ich also heute die Passionsgeschichte Jesu im Licht dieser Nachrichten lese, dann müsste es eigentlich heißen, dass Jesus am Kreuz gestorben ist, weil er nicht genug gebetet hat!

Wäre das nicht ein Gott der die Rache vollzieht? Ein strafender Gott? Ein Gott der schlechte Beter bestraft oder zumindest skrupellos dem Bösen überlässt?

An so einen Gott glaube ich genauso wenig wie an einen netten Onkel mit weißem Bart der uns jeden Herzenswunsch, wie ein betrunkener Millionär erfüllt.

Ich glaube an einen da-seienden Gott!

Ich bete heute nicht darum, dass Gott mich von Corona verschont oder befreit! Dafür hat er mir Erkenntnisse der Medizin gegeben, damit ich mich schützen kann. Dafür hat er uns als Menschheit genug Voraussetzungen gegeben, mit den Gesetzen der Natur klar zu kommen, oder eben nicht!

Jesus ging aus dem Getsemani nicht befreit vom Leid sondern gestärkt im Vertrauen an die Gegenwart des Vaters in seinem Leben. Das wird mir so deutlich im folgenden Abschnitt, wo es um seinen Prozess vor Pilatus geht. Da steht er gerade und souverän, weil er dem Vater vertraut.

Ich bete heute um ein festes Vertrauen in seine Gegenwart, egal was kommt!

In geschwisterlicher Verbundenheit,

P.Ivan